Im Gepäckraum sind unsere Splitboards und mehr als eine Portion Abenteuerlust. Ziel unserer einwöchigen Reise sind die majestätischen Fjorde der Sunmøre Alpen, ein Hotspot für Skitouren im Frühjahr, den wir in der Ruhe der Weihnachtszeit erkunden wollen.
Stotzig Muttenhorn
Wie sich das Blatt gewendet hat
Bericht von Ivo Becker (Go Vertical Ambassador)
Der 20.12.2023 begann für uns nicht gerade vielversprechend. Eine bedrückte Stimmung lag in der Luft, denn es war der dritte und letzte Tag unseres Abenteuers. Als wir die Tür der Rotondo SAC Hütte öffneten, wurden wir von einem bissigen Wind aufgeweckt. Das Wetter präsentierte sich wenig einladend. Im dichten Schneegestöber konnte man kaum etwas erkennen, und die ersten Schritte am Morgen erforderten echte Überwindung.
Als wir um 09:30 Uhr den Läckipass erreichten, herrschte immer noch Kälte und Wind, aber wir wurden mit aufhellendem Himmel und einem atemberaubenden Anblick belohnt. Das majestätische Stotzig Muttenhorn erhob sich vor uns in den Himmel, und mein Herz schlug höher. Das nordöstliche Face, das wir am Vortag in Erwägung gezogen hatten, präsentierte sich vor unseren Augen. Doch bei genauerem Hinsehen mussten wir uns eingestehen, dass der Outrun felsig war und der Wind die Flanke bearbeitet hat.
Als wir dem Stotzig Muttenhorn bereits den Rücken gekehrt hatten und über den Muttengletscher in Richtung des Gross Muttenhorn fuhren, fiel mein Blick im Augenwinkel auf die atemberaubende nordostgerichtete Rinne des Stotzig Muttenhorns. In diesem Moment war für mich klar: Ich musste diese Rinne hinunterfahren. Nach einer Absprache mit Salomon, dem erfahrensten Bergsteiger unserer Gruppe, und Andri, dem versiertesten Freerider (der diese Rinne bereits einmal gemeistert hatte), entschieden wir uns dafür, das Stotzig Muttenhorn doch noch zu besteigen.
Die Herausforderung war klar vor uns, und die Aufregung mischte sich mit einem Hauch von Nervenkitzel. Das Team war sich einig, dass dieser spontane Entschluss, die Rinne zu befahren, die Krönung unseres Abenteuers werden könnte.
Das Wetter spielte in unserem Sinne. Um uns herum ragten beeindruckende Gipfel empor, und die Fernsicht an diesem Tag war schlichtweg atemberaubend. Das Überqueren des verschneiten Grats mit Steigeisen war überwältigend – ein Gefühl, als befände ich mich in einem faszinierenden Traum.
Nach der mühevollen Besteigung erreichten wir den Gipfel, und Andri sowie Salomon legten sofort los. Andri kümmerte sich darum, die Wächte am Einstieg zu entfernen, die über dem von uns gewählten Einstieg hing. In der Zwischenzeit baute Salomon einen stabilen, redundanten Stand an Felsvorsprüngen auf. Die Zusammenarbeit und das geschickte Vorgehen der beiden verliehen diesem Moment einen zusätzlichen Hauch von Professionalität und Sicherheit.
Dann kam der Moment der Wahrheit. Ohne zu zögern liess sich Andri von Salomon in die Rinne herunter. Wir hofften weiterhin darauf, dass die Rinne vor dem Wind geschützt war und wir stabile Verhältnisse mit lockerem Pulverschnee vorfinden würden. Die Verhältnisse erwiesen sich als stabil, aber der Schnee war nicht ganz homogen, und es erforderte Geschick, die Kontrolle über die Skier zu behalten. Dennoch meisterte Andri die gesamte Abfahrt und wurde zu einem winzigen Punkt in einem weiten, weissen Meer.
Für mich hiess es nun: Es geht los. Ich bereitete mich an der Abseilstelle vor, und dann kam die erste Herausforderung. Wie bekomme ich meine riesigen Skier unter die Füsse, ohne dabei einen davon fallen zu lassen? Der Wind versuchte beinahe, mir die breiten Bretter aus den Händen zu reissen, und unter mir erstreckte sich die Flanke über mehrere hundert Meter. Ich musste mein Bein so hoch anheben, dass ich in die Pin-Bindung einsteigen konnte. In diesem Moment wurde mir einmal mehr klar, dass Beweglichkeit nicht unbedingt meine Stärke ist, und beinahe bekam ich einen Krampf in der Hüfte. Doch ich beharrte darauf, die Skier nicht loszulassen, denn ich wusste, dass ich oben auf dem Gipfel feststecken würde, wenn ich sie verlieren würde.
Nach einigen angespannten Minuten war es endlich so weit. Mit den Skiern an den Füssen konnte ich mich 50 Meter in die Rinne abseilen. Es war ein überwältigender Moment, als ich mich vom Seil löste und ungesichert in dem steilen Hang stand. Die ersten Jumpturns erforderten Überwindung. Leider war der Schnee nicht durchweg reiner Powder, was die Situation erheblich erschwerte. Bereits zur Hälfte der Abfahrt hatte ich müde Oberschenkel, und ohne Pause war es nicht möglich, die Rinne weiter hinabzufahren. Zum Schluss wurde die Rinne sogar noch enger, und ich musste erneut Jumpturns einsetzen. Da ich jedoch wusste, dass im Auslauf erstklassiger Powder auf mich wartete und meine Beine bereits genug brannten, entschied ich mich dafür, den Schluss mit vollem Tempo hinunterzufahren.
Was für ein Gefühl, mit 92 km/h über den Powder zu fliegen, nach dieser anstrengenden Herausforderung. Völlig außer Atem erreichte ich Andri, und im ersten Moment konnte ich nicht einmal mehr sprechen. Es war ein Moment, der nicht nur körperliche Erschöpfung, sondern auch die pure Euphorie des Überwindens von Grenzen und die Freude an der unberührten Natur vereinte.
Zum Abschluss war Salomon an der Reihe. Er baute unseren Stand ab und brachte das Seil sicher wieder nach unten. Die Freude war riesig, und es war überwältigend, als Team einen so beeindruckenden Gipfel erklommen und die Abfahrt gemeistert zu haben.
Nachdem wir durch Lawinenkegel und entlang von Bächen ins Tal nach Realp abgefahren waren, konnten wir schliesslich mit einem wohlverdienten Bier anstossen. Wir liessen die letzten drei Tage Revue passieren und waren überglücklich über die wunderschönen und intensiven Momente, die wir gemeinsam in den Bergen erleben durften. Die Erinnerungen an diesen unvergesslichen Ausflug werden sicherlich lange in unseren Köpfen und Herzen nachhallen.
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