La grande U della Bondasca

La grande U della Bondasca

Was wünschen sich zwei Bergführer und leidenschaftliche Alpinisten nach den Weihnachtstagen? „Raus. Aber richtig.“ Falsch. War das nicht einmal ein viel zitierter Werbespruch aus der Outdoorbranche? „Raus. Aber Vollgas“ war wohl eher das Motto von Marcel Schenk (Pontresina) und David Hefti (Davos), als sie sich Ende Dezember ins Bergell aufmachten mit einem grossen Plan: die gesamte Überschreitung der grossen Gipfel im Val Bondasca, im Winter versteht sich. Kaum losgeklettert, war die Seilschaft voll im Flow, liess eine Übernachtungsmöglichkeit auf dem Piz Badile hinter sich und rauschte weiter über den Cengalo Richtung Passo di Bondo. Das war der Hauptgang, zum Dessert gönnen sich die beiden noch die komplette Sciora-Gruppe. Dann ein Bier. Tönt lässig, war es auch. Aber anstrengend!

La grande U della Bondasca
La grande U della Bondasca. (Foto: Vittorio Scartazzini)

Es geschah im vergangenen Februar, als uns eine Winterbegehung der legendären Cassin-Route durch die Nordostwand des Piz Badile gelang. Die Bergeller Granitriesen haben mich definitiv in ihren Bann gezogen. So lasse ich mich damals auch schnell von Marcels kühner Idee begeistern. Eine Winter-Traverse über Badile, Cengalo und die Sciora-Gruppe. Dazwischen befinden sich viele weitere, nicht weniger anspruchsvolle Gipfel und Zacken.

Nach unserer gemeinsamen Cassin-Begehung ist für uns beide wieder Arbeiten angesagt. Von den Skitourenzielen um Bivio lässt sich die ganze Bergkette wunderbar überblicken. Schnell wird klar, so eine Unternehmung braucht ideale Verhältnisse und vor allem eins: Zeit. Drei, vier, fünf Tage?

Ende Dezember desselben Jahres scheint es nun soweit zu sein. Es liegt noch wenig Schnee. Milde Temperaturen und fast kein Wind werden von den Wetterfröschen prognostiziert. Unsere Chance? Rege werden nun Ideen ausgetauscht, wie wir das Projekt angehen wollen. Einige Informationen haben wir. Die Tour wurde im Sommer 2008 von Jonas Gessler und Daniel Silbernagel schon mal geklettert. Bald haben wir unsere Strategie und eine Packliste zusammen. So leicht wie möglich sollen sie natürlich sein, unsere Rucksäcke. Nur so können wir uns flink genug bewegen, kommen schneller voran und sparen wertvolle Kraft. Unser Plan sieht vier Tage vor, davon ein Tag Zustieg und drei Tage Kletterei.

Kurz vor Mittag treffen wir dann am 26. Dezember optimistisch im Val Bondasca ein. Eine vierstündige Wanderung führt uns via Sasc Furä Hütte über den Passo Trubinasca ins obere Val Codera. In der Biwakschachtel Pedroni del Pra beziehen wir unser Nachtlager, geniessen auf den Steinplatten davor die wärmende Nachmittagssonne. Es herrscht eine faszinierende Stille in diesem abgelegenen Tal. Die Zivilisation scheint hier meilenweit entfernt zu sein.

Um sechs Uhr in der Früh stapfen wir los, über Schneefelder und Felsplatten. Fünfundvierzig Minuten später stehen wir oben, am Gipfel des Pizzo Trubinasca. Zwar schon oben, aber doch erst am Anfang einer Odyssee von endlosem Auf und Ab. In der Dämmerung beginnen wir mit den ersten Abseilfahrten. Die Handgriffe sitzen. Es folgt erst steile, dann ausgesetzte Kletterei hoch auf die Punta Trubinasca. Der Aufstieg auf den Pizzo Badilet bereitet uns wenig Schwierigkeiten, am Gipfel werden wir von den ersten Sonnenstrahlen begrüsst. Beide merken wir wie flott unsere Seilschaft unterwegs ist und spielen wohl schon hier mit demselben Gedanken. Auszusprechen wagt es jedoch noch keiner von uns. Es folgt der kleine Trabant des Grossen, Torrione del Badile heisst er. Marcel nimmt danach sogleich die erste Hälfte des Badile Westgrats in Angriff, schnell ist er über die wunderschön strukturierten Granitplatten oben. Ich übernehme. „Go, go, go! Ich habe noch viel vor heute…“, ruft mir Marcel hinterher. Jetzt ist es raus und ich versuche im selben Tempo weiter Richtung Gipfel zu stürmen. Punkt Elf Uhr stehen wir auf dem Piz Badile, ein bisschen ungläubig. Die Biwakschachtel hier lassen wir kurzerhand rechts liegen und machen uns nach kurzer Verpflegung an den wilden Abstieg über dessen Ostgrat und die Punta Sertori runter zum Colle Cengalo. Kurz vor zwei stehen wir auf dem höchsten, dem Cengalo. Die Zeit läuft, noch drei Stunden Tageslicht. Die nächste Biwakschachtel am Passo di Bondo erscheint uns noch sehr weit weg. Schaffen wir das noch? War es die richtige Entscheidung weiterzuziehen? Im Abstieg nehmen wir noch kurz den Nebengipfel mit, schauen uns von da die Ausbruchstelle des riesigen Felssturzes in der Cengalo Nordseite an. Beeindruckend sind die Dimensionen und es soll noch mehr kommen, sagt die Wissenschaft. Kurz stehen wir unten auf flachem Gletscher, doch bald geht’s wieder hoch. Traumhafte Kletterei im Abendlicht führt uns auf die Pizzi Gemelli, die Zwillinge. Definitiv der letzte für heute. Abseilen. Sonnenuntergang. Es beginnt zu dämmern während dem Fussmarsch Richtung Passo di Bondo. Dann doch nochmals runter, und nochmals abseilen. Die Nacht fällt über uns her während wir von Coca Cola träumend doch noch das Biwak Tita Ronconi erreichen. 17:37 Uhr – elf Stunden und vierzig Minuten nach unserem Aufbruch, eine schier unglaubliche Zeit für uns, hatten wir doch zwei volle Tage hierfür eingeplant. Nun können wir beim Abendessen auch aus dem Vollen schöpfen. Es dauert dann ein wenig bis wir Ruhe finden und schliesslich einschlafen können. So unter Strom sind wir nach diesem Tag immer noch.

Die Quittung kommt sogleich am nächsten Morgen. Aufstehen und Frühstück dauern heute ein bisschen länger. Erst um viertel nach sieben ziehen wir weiter. Bald haben wir die ersten beiden Gipfel wieder hinter uns und laufen über den Bondasca Gletscher rüber Richtung Sciora-Gruppe. Im Osten geht die Sonne auf. Leichte Gratkletterei führt uns hoch auf die Sciora Dadent. Neun Uhr ist es und wir gönnen uns eine kurze Pause, denn jetzt geht’s wieder so richtig los. Die nächsten Stunden fordern uns nochmals richtig alles ab. Dazwischen der markante Zahn der Ago di Sciora. Steile, schöne Kletterei in der Südwand, ein Eintrag im Gipfelbuch, dann luftige Abseilfahrt durch die schattige, überhängende Nordwand. Eine unerwartete, ziemlich schwierige Kletterstelle wartet kurz vor der Pioda da Sciora auf uns. Nach dem Doppelgipfel der Sciora di Fuori scheint es nun endlich nur mehr abwärts zu gehen. Zwei Gipfel liegen trotzdem noch vor uns. Nach abenteuerlichem Abstieg erwartet uns die Scioretta mit instabilen Blöcken, da waren wohl noch nicht so viele Leute oben, der Gipfel wird meist über Bänder umgangen. Über einen schmalen Grat in bestem Granit erreichen wir die Torre Innominata. Das ist das Ende. Wir sind auch am Ende, doch überglücklich. Durch das Westcouloir erreichen wir die Geröllhalden über der Sciora-Hütte und erreichen diese bald über den Cacciabellapass-Weg. Eine völlig unerwartete Überraschung bei der Hütte. Meine Freundin Sybille hat uns zwei Dosen Bier hochgebracht. Ein weiteres Highlight. Zusammen steigen wir ab nach Laret, wo wir beim Eindunkeln pünktlich eintreffen. Wie soll es anders sein? Wenn’s passt, dann passt eben alles!

https://www.youtube.com/watch?v=2NZsGIIU1cg
Publish date:
Juli 1, 2017
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